Schlachtfest in der „Neuen Heimat“
Gerhard Harich aus Spaichingen



Siehe unten "Rezepte"

Meine Eltern, Matthias Harich, geb. 1929 in Mramorak/Banat,
und seine Frau Barbara geb. Hittinger, geb. 1930 in Pancevo, aufgewachsen in Franzfeld und Bavaniste, sind nach der Zwangsenteignung, der Vertreibung, den Internierungs- und Hungerslagern in Rudolfsgnad, in der Kohlengrube, und im Zwangsarbeitslager im Pancevaki Rit, Padinska Skela, durch das Freikaufen aus der zwangsauferlegten jugoslawischen Staatsangehörigkeit in die „Neue Heimat“ gekommen.
Beide Väter (meine Opa`s) wurden von den Tito-Partisanen auf dem „Schinderacker“ in Bavaniste/Banat auf grausame Art und Weise erschossen. Die Eltern haben sich in der Padinska kennengelernt und im Jahr 1952 geheiratet.

Im Rahmen der Familienzusammenführung sind sie im August 1954 mittellos zur Großfamilie Hittinger in das kleine schwäbische Dorf Denkingen im Landkreis Tuttlingen in Baden-Württemberg gekommen.
Ein geflochtener Korbkoffer und ein Kind im Mutterleib war ihr ganzes Hab und Gut.
Am 02.09.1954 ist ihr Sohn Gerhard gesund auf die Welt gekommen. Dies war eine große Freude für die ganze Familie, war er doch der erste Bub.

Durch Fleiß, Arbeit, und unbändigem Willen gelang es ihnen schon nach kurzer Zeit in den Jahren1959 und 1960 ein Eigenheim zu erstellen. Mit einem Spaten in der Hand haben mein Vater und die Onkels die Baugrube von Hand ausgegraben. Selbstverständlich durfte da hinter dem Haus ein Stall für die Schweine- und Hühnerzucht nicht fehlen.

Bei den Donauschwaben war dies fast schon Pflicht. Wollte man doch die Kultur, die Tradition, und das Brauchtum auch in der Neuen Heimat pflegen.

So war es selbstverständlich, das traditionelle Schlachtfest auch in der Neuen Heimat gebührend zu feiern.

Voraussetzung hierfür war natürlich ein gut gefüttertes Schwein.
Nach dem Bau des Schweinestalls wurden bei einem Denkinger Schweinezüchter zwei „Guzele“ (Ferkel) gekauft und schlachtreif gefüttert. Als kleiner Junge durfte ich oft die Fütterung übernehmen und den Schweinestall ausmisten.

Mein „Tati“ (Vater) hat mich schon in jungen Jahren mit dieser Tradition vertraut gemacht. So wurden wir von Kindesbeinen an zu Arbeit und Fleiß erzogen. Es gab viele Handgriffe, die von uns Kindern gemacht werden konnten, wodurch die Eltern entlastet wurden.

So konnte ich den Schlachttag kaum erwarten. Meine „Mutti“ (Mutter) hatte mir eigens eine Schlachtschürze geschneidert.
Mein erstes Schlachtfest fand für mich mit sechs Jahren statt.

Die Eltern haben am Tag vor dem Schlachtfest alles sorgfältig bereitgelegt und hergerichtet. Die Waschküche im Keller wurde in eine Schlachtküche verwandelt. Der Waschkessel wurde sorgfältig für das Kochen des Kesselfleischs und der Würste ausgewaschen.
Zum Anheizen wurde Holz gespalten und neben dem Kessel
bereitgelegt. Das große Nudelbrett wurde als Schneidebrett auf den großen Holztisch gelegt und die Messer scharf geschliffen. Gewürze, Zwiebel und der Knoblauch lagen bereit. Die Wurstspritze wartete auf ihren Einsatz. Auf dem Kellerfenstersims standen die Schnapsflaschen und der Wein mit den Gläsern. Im Hof stand die große „Brühmuld“ (Wanne) mit den eisernen Ketten, um das Schwein im heißen Wasser zu wenden.

An der Teppichstange, eine Halterung für die Kinderschaukel, war alles für das Aufhängen des Schweins hergerichtet. Der Fleischbeschauer war bestellt. An alles wurde gedacht, nichts wurde vergessen.

Mein „Tati“ hatte mir oft von den Schlachtfesten in der „Alten Heimat“ erzählt. Vor lauter Aufregung bin ich lange nicht eingeschlafen.

Ich konnte das Morgengrauen kaum erwarten. Mein erstes Schlachtfest stand bevor und ich durfte dabei sein und mithelfen. Früh morgens beim Aufwachen hörte ich schon die Stimmen der Schlachter und der Gehilfen.
Das laute „Grunzen“ der Schweine war nicht zu überhören, als ob sie wussten was auf sie zu kommt. Die ganze Familie stand bereit und freute sich auf das Fest. Die Aufgaben waren bestens verteilt.

Der Bruder meiner „Mutti“, Martin-Onkel, und mein „Tati“ sind in der „Alten Heimat“ in eine Lehre gegangen um den Beruf eines Fleischers zu erlernen. Leider hat der Krieg sie am erfolgreichen Abschluss gehindert. Martin-Onkel lernte in Bavaniste und mein „Tati“ in Mramorak beim Fleischhauer Bingel Johann, dem Schwiegersohn von Harich Philipp („Harich vom Eck“), dem Onkel meines Vaters. Mein Opa, Harich Christian („Harich am Eck“), ist dessen Bruder. Die Metzgersfrau ist die allseits bekannte „Scheck-Lisl“, die Tochter von Philipp Harich.

Das Stechen, das Ausbluten, das Abbrühen und das Abrasieren der Schweinsborsten durfte ich von innen im Haus durch das Küchenfenster beobachten. Vater meinte, dass es draußen in unmittelbare Nähe zu gefährlich sei. Bei einem missglückten Messerschnitt wurden die Schweine oft wieder lebendig und sind wild im Hof herumgerannt.



Alle weiteren Schritte durfte ich hautnah miterleben. Natürlich hatte ich viele Fragen, die Martin-Onkel und mein „Tati“ für mich gut verständlich erklärt haben. In diesen Momenten wollte ich ein Metzger werden.

Beim Auswaschen und Reinigen der Därme durfte ich mit Hand anlegen, schließlich wusste ich doch, dass wir die Därme zum Füllen der so begehrten „Brotwurscht“ brauchten. Die Dick- und Dünndärme für die „Wurschthäute“ mussten mehrmals gewaschen werden. Da hieß es immer wieder Wasser nachschütten, das in Eimern aus dem Keller geholt wurde. Alles musste mit großer Reinlichkeit zubereitet werden, denn nur so war die Gewähr gegeben, dass der Vorrat nicht verdarb. Also eine wichtige Aufgabe, und die durfte ich kleiner Kerl vornehmen. Zu meiner Beruhigung, mein „Tati“ hat alles nachkontrolliert.

Zwischenzeitlich hatten Martin-Onkel und mein „Tati“ das Schwein zerlegt und in die Schlachtküche getragen. Jeder Handgriff saß.

Gleich darauf ist auch der Fleischbeschauer eingetroffen. Sein erstes Handeln war das Schnapstrinken. Danach schaute er sich das Fleisch an und bescheinigte durch einen blauen Stempelaufdruck auf die Schweinshälften die Genießbarkeit.
Wichtiger war ihm wohl das Versuchen der Kesselsuppe und dem Kesselfleisch. Weitere Schnäpse folgten.

Ich wartete geduldig auf meinen großen Auftritt, das Herstellen der doch so geliebten „Brotwurscht“. Durfte ich doch mit einer Nadel vorne an der Wurstspritze laufend in den Darm stechen, damit sich keine Blasen bilden und die Wurst so je nach Darm immer länger wurde. Hatten sich Blasen gebildet, musste der Darm abgedreht werden und es gab nur kleine Würste, was nicht so gewünscht war.
Voller Konzentration stand ich neben der Spritze und gab mein Bestes. Zwischendurch bekam ich von meinem „Tati“ mehrfach ein dickes Lob. Das Grinsen in meinem Gesicht war nicht zu übersehen. Als Lohn durfte ich öfters die leckere rohe Wurstfüllung probieren.
Die „Wurscht“ wurde zu gleichlangen Hälften abgedreht und an einer Holzstange für das spätere Räuchern aufgehängt.

Fast jeder Donauschwabe hatte im Keller eine „Selchkammer“ (Räucherkammer), in der die Leckereien wie die Würste, der Schwartenmagen, der Speck, sowie die „Schunge“ (Schinken), fachmännisch angeräuchert wurden. Nach dem Anräuchern wurden sie im Keller zum Trocknen aufgehängt. Die Donauschwaben bezeichnen es als „Abhänge“ (Abhängen).

Mein „Tati“ meinte danach oft, ob wir Mäuse im Keller hätten, da die „Brotwirscht“ immer kürzen werden. Der angenehme und verlockende Geruch führte uns Kinder oft in den Keller in die Vorratskammer, um die so geliebte „Wurscht“ heimlich zu probieren.

Das Quellfleisch wurde für die Leberwürste vorbereitet, der Schwartenmagen eingefüllt und sachte gepresst. Eine Herausforderung war das Abkochen der Leber- und der Blutwurst sowie des einzigartigen donauschwäbischen Schwartenmagens im großen Kessel. Die Würste durften nicht platzen. Dies war eine nicht ganz leichte Aufgabe, wie ich erfahren habe. Auch das Herstellen der „Sulz“ (Eisbein), der in Sülze eingelegte Schweinefüße, der Schweinsohren usw. war eine Spezialität.

Ein weiterer Leckerbissen war für uns Kinder das gekochte „Schwänzle“, und das abgeschöpfte Fett der Würste, das mit Brot getränkt wurde.

Eine Gaumenfreude war auch das Innere der Markknochen auf einem Brot, gewürzt mit Salz und Pfeffer.

Das Fleisch, die zwei großen Speckseiten, und die vier ganzen „Schunge“ (Schinken) wurden zurechtgeschnitten, kräftig eingesalzen, mit viel Knoblauch eingerieben und in ein „Surfass“ (Salzfass) eingelegt.

Das „Schmer“ (Fett in der Bauchhöhle, nahe der Rippen) wurde herausgetrennt. Das Schmalz hat man ausgelassen und die „Grammeln“ (feste Rückstände vom Schweinefett) in Würfel geschnitten.

Ich bin aus dem Staunen nicht mehr herausgekommen. So viele Erfahrungen durfte ich machen, die ich so nicht kannte. Es war für mich schon faszinierend anzuschauen, wie mein Onkel und mein „Tati“ gekonnt mit dem scharfen Messer umgegangen sind.

In der Zwischenzeit hatten meine „Mutti“ und die Tanten, die fleißig in der Küche mitgeholfen haben, verschiedene Gerichte mit leckerer Kesselsuppe, gebratener Leber, frische „Brotwirscht“, Kesselfleisch und verschiedene Fleischgerichte zum Verzehr hergerichtet.
Als Beilagen gab es Rote-Beete-, Kraut-, und Selleriesalat, sowie frischen Kren (Meerrettich), alles Gemüse aus dem eigenen Garten, frisch gebackenes Brot, und wie üblich die legendären Krapfen.

Alle Mühe des Tages war vergessen und man konnte die ganzen Köstlichkeiten genießen. Es war keine Seltenheit, dass die Metzger und Fleischer mit den Helfern und Frauen, die alle ihre Schürzen noch umgebunden hatten, bis spät in die Nacht hinein am großen Tisch saßen, gesungen und gefeiert haben. Am Abend gesellten sich noch die Nachbarn, Freunde, Bekannte, und die ganze Verwandtschaft hinzu. Wir Kinder waren mittendrin, so lange unsere Äuglein nicht zugefallen sind.

Voller neuer Eindrücke und Erlebnisse bin ich dann spät in der Nacht stolz und zufrieden eingeschlafen. Das nächste Schlachtfest konnte ich schon kaum erwarten.

Ein Schmankerl gab es noch obendrauf. Nachdem das Schmalz und das Schmer nach wenigen Tagen verzehrbar waren, wurde gebacken.

In der Küche herrschte Hochbetrieb. „Mutti“ und meine liebe „Hittinger-Oma“ hatten alles im Griff.
Die leckeren Grammelpogatschen und Schmerkipferl warteten auf
„hungrige Mäuler“.
Der „Rambasch“ (Neuer Wein, Federweisser) und der Mramoraker Wein aus dem „Sand“ durfte dazu nicht fehlen.
In fröhlicher Runde saß man noch lange zusammen und plauderte über das gelungene Schlachtfest.


Leider wurden die traditionellen Schlachtfeste im Lauf der Jahre immer weniger. Das Schweinehalten hatte sich nicht mehr rentiert.
Anfangs wurden in den Schlachthäusern noch die fertigen Schweinshälften gekauft und zuhause verarbeitet.
Nach der Schließung der Schlachthäuser konnte man noch in einigen Großmärkten einkaufen.
Doch dann kam auch noch das häusliche Schlachtverbot hinzu, wenn die entsprechend vorgeschriebenen Räumlichkeiten nicht vorhanden waren und somit die Hygienemaßnahmen nicht eingehalten werden konnten.
Und so gehörten die legendären Schlachtfeste ab den 70er Jahren der Vergangenheit an.
Dies ist sehr schade! Gerne denken wir noch an diese wunderbare Zeit, diesen unvergessenen Lebensabschnitt zurück.

Aus dem Stall wurde ein Abstell- und Lagerraum. Später diente er als Spiel- und Sportzimmer für uns Kinder.
Als Jugendlicher haben mir meine Eltern erlaubt, die Räumlichkeiten in einen Partyraum mit Bar umzubauen.
Auch dort haben wir manchmal die „Sau herausgelassen“ und erinnerten uns so an die ursprüngliche Nutzung!




Biderwand: Schlachtfest in der neuen Heimat



Mramoraker Rezepte:


Grammelpogatschen
Zutaten: 400g Grammel, 400g Mehl, 1 Ei, 20g Germ, 40g Fett, Salz, Essig, Milch;

Man rührt von Mehl, 1-2 Eidottern, Germ, Fett, etwas Salz, zwei Eßlöffel Essig und Milch einen leichten Teig an. Dieser Teig muss gut abgeschlagen werden, bis er sich vom Löffel löst. Ist das geschehen, wird der Teig zum Aufgehen abgestellt. Unterdessen treibt man die Grammel durch den Fleischwolf (feine Scheibe). Ist der Teig aufgegangen, wird er dünn ausgewalkt, mit nicht zu kalten gemahlenen Grammel bestrichen und in der Weise, wie Blätterteig gemacht wird, eingeschlagen. Das wird mindestens dreimal wiederholt. Dazwischen lässt man den Teig immer 10 bis 15 Minuten rasten. Jetzt wird der Teig auf eine Dicke von etwa eineinhalb Zentimeter ausgewalkt. Daraus werden nun mit dem Krapfenstecher die Pogatschen ausgestochen, mit Ei bestrichen und dann bei großer Hitze gebacken. Vor dem Ausstechen kann man den Teig auch mit Brotbröseln und groben Salz bestreuen. Noch ein Tipp: Zum Aufgehen darf man den Teig nicht zu warm stellen!



Schmerkipferl
Zutaten: 280g Schmer, 400g Mehl, 1 Ei, Rahm, Zucker, 20g Germ, Salz, Wein (oder Sauerrahm)

Aus dem Mehl, 2 Eidottern, 2 Eßlöffel Rahm, 1 Eßlöffel Zucker, Germ (in ein wenig Milch aufgeweicht), etwas Salz und Wein (oder Sauerrahm) wird auf dem Kuchenbrett ein leichter Teig gemacht, der gut abgearbeitet werden muss, bis er am Brett und an den Händen nicht mehr klebt. Zum Aufgehen gibt man den Teig in eine Schüssel (darf aber nicht warmgestellt werden und nicht zu stark aufgehen). Inzwischen treibt man das Schmer durch den Fleischwolf. Von dem Mehl sollte man etwas zurückbehalten. Dieser Rest wird nun mit einem starken Messer fest in den Schmer gearbeitet, damit der Teig weich und geschmeidig wird. Dann rollt man den Teig zu einem eineinhalb cm dicken und ca. 20 cm großen Viereck aus. Der Teig wird auf das Brett gelegt, die Schmer wird eingeschlagen und wie Blätterteig behandelt. Dreimal lässt man den Teig rasten, dann wird er mit einem heißen Messer in beliebig große Stücke geschnitten, noch etwas aufgehen lassen, und zu Kipferl geformt, mit Marmelade gefüllt, gehen lassen und backen.